Gil Scott-Heron (Ain’t no such thing as a superman)
Chiqulín de Bachín (Ding am Tango: The hunger I tried to deny!)
I(A) Ich-Ideal/Alles für den Anderen
Endlich angekommen, etwas verspätet – klar, die Pailletten -. Es fällt ihr unmittelbar auf, dass die anderen kein Glitzer und Glimmer tragen, gerade heute – Hat sie sich falsch entschieden? (moi–i(a))
Die anfängliche Stimmung droht zu kippen.
„Ist ein wenig langweilig heute, findest du nicht auch?“ (Er reagiert nicht.)
„Schöne Schuhe!“ sagt die Freundin – schwups – tolle Stimmung, alles schlagartig wieder in Lot.
Die erste Tanda war dann auch super und dann entdeckt sie ihre Freundin auf die Milonga kommen, lächelt ihr zustimmend zu und geht zu ihr.
„Schon recht gut, wie hier getanzt wird!“ meint der Fremde – Einige sind etwas „zu alt“, doch die eine da, die hat einen „schönen Stil“ und, wusst´ Ich´s doch, „sie schaut zu mir!“, „sie nickt!“ (i(a)–moi)
Wer ist denn da, auf einer Milonge, wenn ich auf einer Milonga bin?
„Das Ich ist vor allem ein körperliches“ (Freud, 1923), es ist ein „Haut-Ich“ (Anzieu, 1985), eine „Vorstellung von sich als Körper“ (Lacan, 1975/76).
(Jetzt mal was komplexer geschrieben – vielleicht dennoch nicht ganz so blöd)
Zuerst einmal ist da das Ich (moi), der, der den „Eintritt bezahlt“ hat und dem die „Schuhe passen“ oder die, die sich in „Glitzer und Glimmer“ erkennt – der Tanguero/die Tanguera in all seiner/ihrer Präparation -, als „praeparatum“, als für die Milonga Vor- und Zubereitetes, nach mehr oder minder optischer (sie vor dem Spiegel zuhause) oder innerer, selbst-monologisierender (er beim Betreten der Milonga) „praeparatio“ somit nach Vorbereitung auf die Milonga. Womit das Ich (moi) ein „praeparandum“ wäre , ein Vorzubereitendes, um auf der Milonga als frisch präpariertes Präparat zu erscheinen – und, um für einen bestimmten Zweck präpariert zu sein. (puh, wie jetzt??)
Das Ich ist, um zu funktionieren, das Instrument der Selbstoptimierung.
Womit das Ich aller Authentizität – Echtheit – von Beginn an beraubt wäre!
„Das Ideal-Ich ist ein Bild, von dem das Subjekt annimmt, dass es für einen Anderen begehrenswert ist“ (Nemitz, 2013).
Dann, zweitens, wäre auf der Milonga ein Ideal eines Ichs (i(a)), ein „semblant“, eine Art zu erscheinen, ein Anschein. Das präparierte Ich, das, wozu man sich präpariert, unter Vorgabe einer zu erwartenden Anerkennung anderer gebildet.
- Das Ich soll so erscheinen, möglichst so sein, dass man Anerkennung erfährt, eventuell Ignoranz der Anderen, zumindest aber keine Ablehnung und keinesfalls Ausgrenzung und Hass.
Alternativ geschieht das auch schon vorbeugend, absichtlich, als ein „pretend to be“ (like this, like a human), als ein Vorgeben so zu sein „wie„, etwa wie die Jungen, jedenfalls nicht „zu alten“, eher wie die „Schönen“ und die da, die „guten Tänzer“, eben wie jemand, den man „Gott sei Dank“, besser „um Gottes Willen“, gefunden hat, um sich zu arretieren, da man sich zu dieser Gruppe gehörig macht, die möglichst weit oben ist, auf den oberen Stufen des Prestiges verortet. Oder man bildet mental das Ideal gleich selbst – gut, das wäre dann schon etwas narzisstisch – und dann phantasiert man dieses Selbst-Bild, oder das Gegen-Bild, phantasiert es nach draussen – in den Raum -, und hat etwas zum an- oder ablehnen, als auf jeden Fall nicht zu den „schlechten Tänzern“, oder den Uncoolen zugehörig zu sein, die „ein wenig zu früh aufgestanden sind“ – mit dem Effekt der Vorwegnahme der An- oder Aberkennung durch andere und zugleich, der vermeintlichen Unabhängigkeit von der Beurteilung anderer -.
Womit das Ich sich am Bild des (A)nderen ausrichtet, an dem, wie es glaubt sein zu müssen, um zu den (a)nderen zu gehören, denen, die da tatsächlich auf einer Milonga sind, oder denen, von denen man nur glaubt, sie seinen das, wofür man sie hält.
„Das Ideal, an dem das Subjekt sein Ich misst, ist nicht sein eigenes“ (Nemitz, 2013).
Und schließlich wäre da auf der Milonga noch das Ich als (s)ein Ideal (I(A)), insofern es – dieses Ich – mit sich selbst – seinem Ideal – identisch wäre, als identitas „der-, die- oder dasselbe“ – somit a) das, was b) das Selbe wäre – somit wiederum zwei in einem.
- Denn was sie beruhigt und zufrieden gemacht hat, in ihrer Suche nach der Lösung für „die Schuhe, die nicht zum Kleid passen – weil dieser grünliche Schimmer an der Lasche nicht mit den bläulichen Pailletten des Kleides harmoniert, die dabei etwas zu matt wirken“, was ihre Unruhe angehalten hat, war „etwas Rotes“ (eher im kognitiven Bereich des Körpers).
- Und was ihn angehalten hat, was ihm Halt gegeben hat, war ihr Lächeln und Zunicken, dasjenige Derjenigen, zu der er/die zu ihm „passt“, die einen „schönen Stil“ hat und mit der er „mithalten“ kann.
Womit das Ich mit sich im Reinen wäre, wenn es passt, und da es passt und so lange es passt. Wenn der Vergleich mit dem Anderen zu einem Ende kommt, damit etwas (Time one, T1) abgeschlossen und etwas anderes (time two, T2) angeschlossen werden kann.
- Und sie kann endlich im Frieden mit sich sein und zur Milonga fahren: „Schatz, wo bleibst du denn!
- Und er kann eine Tanguera zur Tanda bitte, denn „Sie, die mit dem schönen Stil nickt mir zu!“
Das alles – so die Vermutung – passiert vor und während einer Milonga, und zwar so lange bis es passt und die Tanda endlich starten kann.
Und sicher wird all dies wiederholt, wenn es passiert, und etwas während der Tanda plötzlich nicht passt – das beiderseitige „identisch-mit-sich-sein“ gestört wird -.
Was passiert, bis es passt!
Was bestimmt in dem Prozess, in dem sich ein Tanguer präpariert, sein Prestige bildet und sich nach dem Vor-Bild seiner (idellen) Gruppe oder (fixen) Idee zur Geltung bringt und als eine Tanguera oder ein Tanguero in Erscheinung tritt, damit alles ein gutes Ende nimmt, es passt und Zufriedenheit mit sich, Freunde an der Milonga oder Lust auf eine Tanda entstehen kann.
Es kommt zu einer Aussage, ein Urteil wird gefällt, jemand sagt etwas und das wird als die Wahrheit über sein Verhältnis zu sich selbst an-genommen und (für mehr oder minder lange Zeit) gehalten.
- passt, schöne Schuhe, schöne Frauen, schöner Stil, gute Tänzer, zu alt, etwas zu früh aber auch ein „rotes Etwas“ … Die objektive x-Beliebigkeit – Schuhe, Frauen, Tänzer, alt, früh, rot -, als ursprünglich Gleich-Gültigkeit, ohne Wert an-sich, sondern Ding-an-sich, erhält ein Attribut, und dieses die Qualität des „Passens„, als Identität, als „dasselbe“, mit dem Objekt identisch, nun Gleich-Artig, als Identifikation oder Ergebnis sprachlich bedingter Transformation).
Zwischen diesem Ich (moi) auf der Pista – „Wie gut wird hier getanzt?“ – oder vor dem Spiegel –Die verflixten, matt wirkenden Pailletten. – und dem Ideal (i(a)), dass sich das Ich im Kopf vorstellt oder da draussen wahrnimmt (für Wahr annimmt) – „Irgendwie müssen die Schuhe doch zum Kleid passen!“, „Schöne Frauen, gute Tänzer!“ – gereift ein Dritter, ein Richter, oder auch nur ein Anhalter ein, und bewirkt mit seinem Urteil, seinem Halt-geben, ein abschliessendes Ich das Ideal ist (I(A)) – Und dieser Dritte spricht die eigentliche Anerkennung aus – durch Vergabe des Attributs – wie schön. Und diese Halt gleichgültig gegenüber dem, was der Partner zu seiner nun milongabereiten Tanguera sagt, oder er hättet sich scheinbar daran, was die Freundin über die Schuhe meint, und er kann ignorant gegenüber dem sein, wie „alt“ sie ist, oder och dem, dass sie lediglich an ihm sah, wobei es hier so lange passte, bis sie an ihm vorbeigeht – „jetzt weinst du aber„).
Und der Dritte kann auch das „rote Etwas“ sein, das da im eher kognitiven Bereich ersichtlich wird.
Und schließlich: Die Gesellschaft, Zivilisation, Kultur, versucht alles, um an diesem Punkt Wirkung auszuüben, an unserer Idealbildung teilzuhaben, sich an dem Punkt der Passung einzumischen, um das Normale (franz: normal, als „nor-male„, einer vielleicht stets patriarchalischen Norm) hochzuhalten, damit es nicht auseinander bricht, das Ge-bild-e.
Die Haut, das Körperliche, die Vorstellung von sich als Körper – als das, was so präpariert wird, dass es funktioniert (moi) -, das vorgestellte Idealbild – als Maß aller Dinge (i(a)) – und, das gesprochene Attribut über mich als Ich-Selbst (I(A)), gehen eine Liaison ein (moi-i(a)-I(A)) und lieben sich oder hassen sich und oder den anderen (hainamoration)
Alles lauft darauf hinaus, das das Tanguer jemand sei, sich als jemand behauptet, und auf der Milonge, wie der Tanda sich „erhobenen Hauptes“ bewegt.
Und je näher sich moi und i(a) kommen, um so besser fühlt man sich-selbst (I(A)), liebt sich und den Anderen, glaubt an den, der das bewerkstelligt hat, und hält inne (wenn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde).
(Quellen: Evans, D. (2002). Wörterbuch der Lacan´schen Psychoanalyse. Ich-Ideal (S. 139)., imaginär / das Imaginäre (S. 146) Wien: Turia & Kant; Freud, S. (1923). Das Ich und das Es, Studienausgabe Bd. III, S. 294; Anzieu, D. (1985): Das HautIch. Frankfurt/M.: Suhrkamp; Lacan, J. (1975/1976). Le sinthome (deutsche Übersetzung, 2017, Wien: Turioa & Kant); Nemitz, 2013, https://lacan-entziffern.de/spiegelstadium/ich-idealich-ichideal/; https://lacan-entziffern.de/ich/graf-des-begehrens-idealich-spezialistisch/; https://lacan-entziffern.de/idealich/coupe-und-kp/)
Alles für den Anderen
„Je est un autre“ (Ich ist ein Anderer) Arthur Rimbaud (1854– 1891)
- „Schau mal, der hat sich neue Tangoschuhe gekauft!“
- „Gut Tango zu tanzen ist hierbei wichtiger, als gut auszusehen!“
- „Ich möchte, dass sie sich voll auf ihr inneres Erleben konzentrieren kann!“
- „Es ist meine Rolle, Sie zu führen!“ – „Es ist meine Rolle ihm zu folgen!“
- „Das alles steckt schon im Wort Tango!“ – „tangere“ für „berühren“ (sie, ihn, sich); „tanguer“ für „schlingern, stampfen“, in „tanguer autour de un objet“ für „jemanden umschwingen“
Etwas klarer wird dieses „für den Anderen“, wenn man die Frage stellt „Warum?“, warum tun wir das, was wir tun?
Dieses „Warum“ ist schon immer die süsse Rache der Kleinen auf das „Nein“ ihrer Eltern gewesen. Es ist aber zuerst weniger ein Interesse an den Dingen als solchen, als an der Perspektive der Eltern auf diese Dinge – „What does the Other think and want?“
- Ausgehend von der neonatalen Imitation kurz nach der Geburt bis hin zum ersten sozialen Lächeln.
- Vom der ersten prototypischen Konversation über die Objektpermanenz, im fort-da Spiel, joint attention bis hin zur Bindungsbeziehung.
Und besonders zeigt sich der Andere im kindlichen Trauma in Folge eines starren Gesichtes der Mutter, in frühester Kindheit, oder im infantilen Vertrauen zur Mutter im Klippentest.
Der Andere ist schon immer anwesend, primordial, uranfänglich, als (m)other.
Und wenn Kinder diesen Anderen nicht anwesend haben, dann haben wir ein echtes, autistisches Problem.
Die Milonga ist alles das, was ich (moi) wieder-erkenne, was mit meinen Erinnerungen übereinstimm, und von dem ich mir ein Bild (i(a)) machen kann – und – vor allem -, was ich mir zueigen machen kann (I(A)).
Etwa so wie gehabt: Der Eintritt ist bezahlt, die Schuhe passen, Stühle sind um die Pista gestellt, teils besetzt, teils noch frei. Paare sitzen nebeneinander, eine Gruppe ist vergnügt und einige tanzen … „Die Tanda ist schon mal richtig gut!“ „Wie gut wird hier getanzt?“ „Sie ist ein wenig zu früh aufgestanden“. „Gutes Gefühl hier – schöne Frauen, gute Tänzer!“ Gefühl des Wahrgenommenwerdens. Das Herz schlägt schneller. „Schon recht gut, wie hier getanzt wird!“ „Ah, die da drüben … nee, die lieber nicht!“ „Die da tanzen richtig gut zusammen – sie hat einen schönen Stil!“ Das Herz pocht. „Sie schaut zum mir!“
Freud würde dazu sagen (am Ende seiner Zeit): „Räumlichkeit (also, die Milonga) mag die Projektion (lat. proicere „hinauswerfen, hinwerfen“) der Ausdehnung des psychischen Apparates (Ich) sein“ (Freud, 1941, S. 152).
- Er meint damit, dass ich mir jeden Raum, den ich betrete, auch im caminar der Tanda, erobere, zu eigen mache und für Wahr nehme – Jeder Raum wird von mir zu diesem Raum gemacht, zu meinen, zu (m)einen Bild – Untrennbar bin ich da draussen – Mittelpunkt meines Raumes.
Freud sagt zugleich: „Psyche ist ausgedehnt, weiß nichts davon“ (Freud, 1941, S. 152).
- Und damit meint er vermutlich. Ich bin da draußen und weiß nichts davon – es ist mir nicht bewußt -, da mein körperliches Ich, mich schon immer in einem Raum ver-ortet, der nur durch meine Vor-stellung/Wahr-nehmung, oder durch mein Vor-Bild, zu meinem Raum wird, ein-gebildeter Ich-Raum – Ich sehe meine Pailletten und ich sehe die Schuhe nicht passen – wo ist das Problem? – Darin, dass ich mich schon längst vor dem „nicht passen“ der Schuhe wiedersehe/-finde, darin schon bin, bevor mich das „nicht passen“ stört, es mir also aufgrund dieses Urteils erst bewusst wird, ich mir meiner selbst erst bewusst werde, aufgrund (m)eines Urteils – nachträglich.
- Das „Echo meiner Attribute“ – zu matt, schön, gut, lieber nicht – macht mir etwas bewusst, holt mich aus meinem Dornröschenschlaf. Es ist das Echo meines inneren, verinnerlichten Monologes, meiner Theory-of-Mind, eines Mentalisierens des zuvor nicht mentalisierbaren. Und diese Attribute kommen vom Anderen und ihre Echos tauchen als Axiome unseres Denkens in uns auf und werden selbst nicht hinterfragt.
Und wir wissen nichts davon, dass wir uns bereits mit unseren Wahrnehmungen unsere Welt, unsere Realität, unsere Milonga erschaffen haben – und diese erst wirklich wird, wenn sei eine geteilte, meine mitgeteilte, eine im Gespräch mit sich selbst oder mit Anderen geteilte Milonga, eine Tanda zum zweit wird -, dass sie radikal ein Konstrukt ist, eine gemeinsam geteilte Wirklichkeit.
Aber, was stört das alles, wenn es passt, sobald es passt, und wir zufrieden sind, Lust empfinden und etwas sich abschliesst (T1) damit etwas anderes angeschlossen werden kann (T2) – wenn „es läuft“, wenn die Schuhe, als schön bestätigte, schön sind, die Caminata voranschreitet, die Schöne lächelt und nickt.
Der, die, das Andere, beim Eintritt zahlen an der Kasse, mit ihrem Wort über die Schuhe, mit etwas Rot, ihrem nickenden Blick. Der, die das Andere in uns macht die Zäsur – zwischen früher, jetzt und gleich – im Gegenwartsmoment, und erst an der SOLL-IST-Bruchstelle wachen wir auf und Es wird uns bewusst – da wo es war wird ich – (nach Freud).
Jedoch weiß ich nicht(s) davon – von dem Anderen, der Zäsur, dem Urteil, es wird mir nur bewusst -, ich erlebe nur den Effekt seiner gegenwärtigen (Ein-)Wirkung, die Zufriedenheit und Lust, wenn es „passt“, und Unzufriedenheit, Unlust, Leid usw., wenn’s eben nicht passt, und ich daher verharre, in dem Gegenwartsmoment verhaftet bin, und ich die Lust fest-halten will „ja, Sie lächelt mir zu!“, oder unablässig nach Lösungen suche – „verflixte Pailletten!“.
Was ist da anwesend, als un-/passender Anderer?
- Was schafft der/die/das A(nderer), was erschafft die Passung zwischen moi und i(a), meinem fragilen Ich und dem Bild meiner Ganzheit – was macht die Milonga so schön, die Tanda so nah, das Gefühl so wohlig?
Es ist nicht „der/die andere“, der/die kleine andere (a), der/die mir als mein Gegenüber erscheint, mir sein/ihr Bild, möglichst als Ideales präsentiert, mir sein/ihr sich dar-stellen, sein/ihe Prestige zeigt. Dies wäre der/die Ähnliche, Semblant, dem/der ich mich ähnlich mache, mit dem/der ich somit konkurriere, im Neid, in meiner Bewunderung, Ablehnung, Liebe oder meinem Hass – gleich gültig wie – jedenfalls und vor allem, unterstelle ich diesem/dieser andere mein Bild vom Anderen als vollständig, ohne Riss, ohne Fehl und Tadel, dass, was ich gern wäre (mein Ich-Ideal).
- Und die Tanda, ja, diese wäre hier eine solipsistische (lat. sōlus ‚allein‘ und ipse ‚selbst‘), eine, in der nur das jeweilige ich existiert – und, ja, der Andere als bloßer Spiegel, und, ebenso, der arme Narziss, vor seinem See aus Bildern kniend – wäre da nicht Echo (durchaus lesenswert), leider als unzulängliche Lösung, da sie nicht erhört wird.
Es ist auch nicht „der/die Andere“, der/die große Andere (A), der/die radikal Andere, unerschließbar – hinter dem Bild, dem Schein, dem Schau-spiel – der/die Andere als (m)eine Vermutung, (m)eine Hypothese und je nach dem, meine An-Nahme, mein ihn/sie als Anderen/Andere an-nehmen, wenn meine Vermutungen und Annahmen über hin/sie von mir als zutreffend angenommen werden (und es wieder einmal „passt“, durchaus mit Lustgewinn).
- Wie das geht? – Der/die Andere (A) – anders als der/die andere (a) – er/sie spricht, er/sie hat mir was zu sagen!
Und das, was er/sie mir sagt, unterliegt einem Gesetz, ist gesetzt, ist auf eine Ordnung zurückzuführe, die über ihm/sie und über mir steht, der wir unterliegen (subjectum) und die unser Verhältnis regelt – und – aus dem Raum der möglichen Worte und Gesetze, und der Grammatik – dem sprachlichen Universum möglicher Worte -, wählt der/die Andere aus, wählt seine/ihre Worte, Sätze und Satzbauten – und dieses wird von mir erkannt, an-erkannt, sofern diese auch meine sind (da ich sie als Kind brav gelernt, übernommen habe) – der/die (a)andere wird so von mir durchschaut, verstanden – Beziehung wird möglich.
(Wie anstrengend dies ist: der, die ihn, sie, einem, einer, ihm, ihr … – diese letztlich geschlechtlich vermittelte, auf sprachlichen Differenzen basierende Ordnung)
- Und die Tanda? Ja, in der Tanda sind es die Schritte, die Figur, mein Stil, diese auf möglichst digitaler Klarheit, sprachlicher Differenz(iertheit) und lesbarer Symbolik be-ruhende Ordnung, die die Tangueros und Tangueras lesen, ent-ziffern, auf die sie sich committen, als eine hergestellte Übereinstimmung (bspw. in Bezug auf eine bestimmte Aufgabe oder ein bestimmtes Projekt), die für beide Verbindlichkeit hat – und Echo wird ge-hört, erhört.
- Doch es ist das Gesetz, es sind die erlernten, erworbenen Regeln und Gesetze der Tanda, die regieren, wie schön und virtuos auch beide die Tanda begehen – sie zelebrieren, feierlich.
- Die Ordnung der Tanda vermittelt die Beziehung zwischen Tanguero und Tanguera – aber, der, der ordentlich führt, und die, die ordentlich folgt, haben beide damit schon eine (echte) Beziehung?, eine gemeinsame Tanda? Sind sie, wenn sie einander der jeweils Andere sind, der jeweils Regelkonforme, sind sie dann gemeinsam (dem/der einen wie der/dem anderen zukommend, zugehörend, in gleicher Weise Eigene) – sicher nicht – ja, sicher gemeinsam, sofern sie sich als den Tangoregeln untergeordnet geben, einander schenken, einander einfühlen, inter-essieren- aber nicht einander eigen, zugehörig.
Was den nun? grrr!
Wenn schon das Der und das Die (a)ndere/r / (A)ndere/r letztlich allein beziehung-stiftend sind, das Bild vom (a)nderen zwar ent-schlüsselbar machen und zum Er-kennen vom (A)nderen beitragen, aber nicht das in Beziehung-sein ausmachen, diese besondere Eigenheit der Tanda, was denn dann?
- Es bleibt nur „das Andere“, das Un-Persönliche, die Alteriert als solche, die grundlegende, radikale Alienität (Lacan), das Unheimliche (Freud), das Fremde des Anderen – dieses DAS, dieses Ding in dem, in der Anderen.
Nur, da wir etwas zugrundeliegendes – eben dieses „das“ – im Anderen annehmen, vermuten, wenn man so will, hypostasieren, gibt es da draussen überhaupt etwas zu er-kennen, und gibt sich (von mir, von dir) etwas da draussen zu erkennen – als Verkörpertes -.
- Der Tanguero handelt hier als Relais, als Schritt für Schritt, wodurch die Tanguera ihre Augen schließt, ihn lediglich in seiner Relaisfunktion wahr-nehmend, sich von sich (als eine „die“) entfremdet und separiert und zu dieser Alterität kommt, sie es sich selbst zu eigen macht – sie sich sich selber fremd macht -, und es/sich ihm dabei offenlegt, so dass er an-teil nehmen und es sich ebenso zu eigen machen kann – dieses „Ding der Tanda“.
- Und es gibt Tanda, da wo es sich in ihrem Gesicht/Ausdruck offen-bart (ein bar jeder betont expressiver Mimik).
- Und hat es sich in ihrem Ausdruck offenbart, dann ist beider Eigenheit der Tanda vorhanden, sofern es sich auch in seinem Ausdruck offenbart.
Eine Tanda de Tanguer, ein schwankendes oder stolperndes oder virtuoses sich Drehen um das Andere, um das Ding im Tango.
Mystisches Zeug – ja, exakt (:).
(Quellen: Evans, D. (2002). Wörterbuch der Lacan´schen Psychoanalyse. andere/Andere (S. 38), Herr (S. 133). Wien: Turia & Kant; Freud, S. (1941). GW XVII Schriften aus dem Nachlass 1892-1939 (S. 152), Frankfurt/M.: Fischer; Dobelhammer, K. (1998). Das Sprechen der Sprache: Frühkindlicher Spracherwerb im Lichte der Psychoanalyse Jacques Lacans, Wien, http://othes.univie.ac.at/845/1/das_sprechen_der_sprache.pdf; Stern, D. (2005). Der Gegenwartsmoment. Veränderungsprozesse in Psychoanalyse, Psychotherapie und Alltag. Frankfurt/M.: Brandes & Apsel. Verhagele, P. (2019). Lacan’s Answer to Alienation: Separation, https://crisiscritique.org/april2019/paul.pdf; Lacan, J. (2015). Das Seminar, Buch XX (1972-1973). „Encore“. Wien: Turia & Kant)